Taijiquan- & Qigong-Schule Lie

李氏太极拳气功学院

Darf man Arme und Beine beim Qigong und Taijiqaun durchstrecken?

Um gleich zu provozieren: Die Antwort ist ja!

Zunächst sprechen wir mal darüber, warum es beim Qigong und Taijiquan empfohlen wird, die Arme und die Beine nicht völlig durchzustrecken – also die Ellenbogen und die Kniegelenke nicht zu arretieren. Meiner Meinung nach gibt es folgende Gründe:

  1. Wenn die Arme und die Beine nicht durchgestreckt werden, lassen sich die nachfolgenden Bewegungen, die in der Regel als die Fortsetzungen der vorangehenden zu verstehen sind, einfacher, weicher und fließender ausführen.
  2. Wenn man mit den Händen/Fäusten bei durchgestreckten Armen auf einen Gegner schlägt oder mit den Füßen bei durchgestreckten Beinen tritt, können die Gelenke dabei leichter verletzt werden.

Daher ist es in der Tat ratsam, die Arme und die Beine in solchen Fällen nicht durchzustrecken.

Die Bewegungen im Qigong und im Taijiquan sind in der Regel zweckmäßig und zielorientiert. Sie werden von uns Menschen kreiert und dabei wird versucht, die Gegebenheiten in der Anatomie und Physiologie sowie die Möglichkeiten in der Motorik / Biomechanik zu berücksichtigen und zu nutzen. Auch wenn oft von einer „natürlichen“ Bewegung gesprochen wird, wollen wir damit etwas bezwecken / erzielen wie symbolisch „den Himmel tragen“ und fiktiv den Gegner „wegschieben“ etc. Also im Grunde genommen wie „normale“ Bewegungen im Alltag halt!

Daher ist die Frage, ob man die Arme und/oder die Beine bei einer Bewegung durchstreckt oder nicht – unter Berücksichtigung der obigen zwei Punkte, durch den Zweck / das Ziel bzw. den Sinn / das Sinnbild der jeweiligen Bewegung zu beantworten.

Wenn man z. B. die Übung „Den Himmel tragen“ von den Acht Brokaten (BaDuanJin 八段锦) ausführt, sollen wir dem Begriff nach die Hände so hoch wie möglich gen Himmel strecken, um unter anderem (sinnbildlich) uns so gut wie möglich dem Himmel zu nähern und den Rücken zu recken und die Schulter (hinauf) zu dehnen. Denn der Zweck dieser Übung ist unter anderem, den Rücken zu stabilisieren und die Schultern zu mobilisieren. Ebenso darf man das Standbein beim Stoßen mit dem Fuß (Spitze oder Ferse) bei Taijiquan recht hoch strecken, jedoch ohne es zu arretieren. Der Grund ist, weil man den höher gelegenen Körperteil des Gegners treffen möchte.

Es ist einfach so ähnlich wie im Alltag: Wenn man eine Sache von ganz oben greifen will, streckt man ja die Arme und die Beine ganz gerade, manches Mal bis zu Arretierung der Gelenke und steht gar auf den Zehenspitzen. Diese deutliche Streckung ja gar kurzzeitige Arretierung der Arme und Beine hat noch niemandem geschadet. So ist es auch bei der Ausführung dieser Übung der Acht Brokate bzw. beim Treten mit dem Fuß bei Tijiquan! Wie sollen wir diese Ziele erreichen, wenn die Arme und die Beine nicht ganz gestreckt werden dürfen?

Bei der Aktion „An“ (按 Drücken/Schieben) im Taijiquan, z. B. bei der Folge „Spatzenschwanz fangen“ beim Yang-Stil oder sog. „Peking“-Form, will man den fiktiven Gegner unter anderem von sich wegschieben. Dabei wird sich vorgestellt, dass man die Hände auf den gegnerischen Körper (Brustkorb) aufgelegt hat. In diesem Kontext soll man die Arme zwar strecken, um den Gegner wegzuschieben. Jedoch behält man eine deutliche Beugung der Arme bei. Auch wenn es je nach Schule unterschiedlich verlangt wird, wie stark man die Arme noch gebeugt lässt bzw. weit nach vorne schieben soll, bleibt es dabei, dass die Ellenbogen nicht durchgestreckt werden sollen. Denn sonst könnte es unter Umständen passieren, dass die Ellenbogen durch den Abprall von dem gegnerischen Körper (z. B. bei sog. Explosionstechnik 发劲 FaJin) verletzt werden.

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